8.6.14

[ #geschichte ] Sprechfolterung oder der ewige Skandal des Krieges


Keine der Spekulationen über die Herkunft Kaspar Hausers  ist übrigens trotz Gentechnik bis heute  bewiesen und bestehen aus nur aufeinandergetürmten Hypothesen. 

Es ist zumindest ebenso wahrscheinlich, dass Kaspar Hauser nur ein weiteres vernachlässigtes Kind aus der Zeit der Napoleonischen Kriege gewesen ist, hinter dessen Schicksal sich kein politisches Geheimnis oder gar Skandal verbirgt außer dem einen ewigen Skandal, dem Krieg schlechthin.




Nicht nur Sensationsschreiber und Kaffeesudleser werden sich des Stoffes Kaspar Hauser alsbald annehmen und bis in die heutigen Tage sich damit beschäftigen. Mehr als 2000 Bücher und an die 15000 Broschüren, Artikel, Gedichte und Lieder sind seit dem Auftauchen Kaspar Hausers entstanden. Für Literaten ist die geheimnisumwobene Gestalt Kaspar Hauser der Stoff für ihre Werke. Beispiele unter vielen anderen dafür sind das Drama "Gaspar Hauser" (1838) des Franzosen Adolphe Philippe Dennery, Karl Gutzkow ("Die Söhne Pestalozzis", Roman 1870) Rilke, Rainer Maria Rilke mit dem Gedicht "Der Knabe" (1907), der Roman "Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens" (1908) von Jakob Wassermann, Klaus Mann ("Kaspar-Hauser-Legende", Roman 1925) sowie Peter Handkes Drama "Kaspar" (1968). Kurt Tucholsky schrieb u.a. unter dem Pseudonym Kaspar Hauser.


Peter Handke. Handke will nicht, wie der Titel vermuten lässt, die Geschichte Kaspar Hausers nacherzählen, der 1828 in Nürnberg völlig hilflos, ungebildet, unzivilisiert, als eine Art "Wilder" in der biedermeierlichen Gesellschaft auftauchte und unter ungeklärten Umständen später ermordet wurde. Den Autor interessiert dieser Fall nur als Modell: wie sich ein Fremder in einer geordneten Welt mit Hilfe der Sprache zurechtfinden, wie er damit sich selbst erkennen und seine Umgebung, die ihm als ein Chaos erscheinen muss, ordnen kann. Vielleicht kommt gerade dieses Stück aber der Kaspar-Hauser-problematik am nahesten,
»Das Stück Kaspar zeigt nicht wie ES WIRKLICH IST oder WIRKLICH WAR mit Kaspar Hauser. Es zeigt, was MÖGLICH IST mit jemandem. Es zeigt, wie jemand durch sprechen zum Sprechen gebracht werden kann. Das Stück könnte auch ›Sprechfolterung‹ heißen.« (Peter Handke)
Werner Herzog. Herzog verfilmte Kaspar Hauser 1975 mit dem Titel "Jeder für sich und Gott gegen alle": Am Pfingstsonntag des Jahres 1828 wird in Nürnberg ein verwahrloster Findelkind aufgegriffen, der bis dahin angekettet in einem dunklen Kellerloch dahinvegetiert hat. Kaspar Hauser wird der sprach- und entwicklungsgestörte junge Man genannt und zunächst im Stadtgefängnis untergebracht, wo sich der Gefängniswärter und seine Familie freundlich um ihn bemühen. Danach kommt Kaspar in einen Circus, wo er neben anderen "Kuriositäten" vorgeführt wird. Von dort reißt er aus und verbirgt sich im Hause eines Professors. Hier macht Kaspar Erfahrungen mit Sprache, Wissenschaft, Musik, Kunst und Religion - aber auch mit Beamten, Geistlichen und spleenigen Reichen, die ihn begutachten und testen. Kaspar entwickelt eigene Überzeugungen und eine eigene Logik und gerät so in Konflikt mit Religion und herrschender Rationalität.



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