10.6.14

[ #geschichte ] Der kaiserliche Rinnstein für das soziale Elend

Der Weber" von Max Liebermann 
Kaiser Wilhelm II. schätzte den „sozialdemokratischen“ Dichter und Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann nicht.  Nach der Uraufführung der "Die Weber" am 2. Oktober 1893 kündigte der Kaiser Wilhelm II. gar aus Protest seine Loge im Deutschen Theater. 

Gegen die Verleihung des Schillerpreises an Hauptmann legte er 1896 sein Veto ein. Auf Betreiben seines Sohnes, des Kronprinzen Wilhelm, wurde 1913 in Breslau Hauptmanns Festspiel in deutschen Reimen abgesetzt, weil darin das hundertjährige Jubiläum der Befreiungskriege nicht mit Hurrapatriotismus begangen, sondern mit pazifistischen Akzenten versehen wurde.



Gerhart Hauptmanns "Die Weber" spielt sich in "Dreissigers Parchentfabrik" ab, die Anlehnung an den Fabrikanten Zwanziger wohl bewusst vorgenommen. Uraufgeführt wurde das Stück am 26. Februar 1893 nur "privat" im Neuen Theater Berlin. Die erste öffentliche Aufführung folgt erst am 25. September 1894 im Deutschen Theater Berlin. Die Wilhelminischen Zensurbehörden versuchten, die Aufführung der "Weber" mit der Begründung zu verhindern, die im Drama enthaltenen Schilderungen seien dazu angetan, Klassenhass zu erzeugen und könnten zu "einem Anziehungspunkt für den zu Demonstrationen geneigten Teil der Bevölkerung Berlins" werden. Es bedurfte langer gerichtlicher Auseinandersetzungen, ehe das Kgl. Preußische Oberverwaltungsgericht das Verbot der "Weber" aufhob.



Wilhelm II. Er trotzte - bekannt als sturrköpfig, kultur- und bürgerfeindlich - dem Gerichtsentscheid: Wegen der "demoralisierenden Tendenz" der "Weber" kündigte er die kaiserliche Loge im Deutschen Theater. Bereits Webers erstes Stück "Vor Sonnenaufgang" (1889), das den moralischen Verfall mehrerer Bauernfamilien zeigt, die plötzlich zu Wohlstand gelangt sind, als auf ihrem Land Kohlevorkommen entdeckt wurden, führte zu einem Skandal und wurde verboten. Sein Fünfakter "Die Weber" (1892) wurde damals gar als revolutionär aufgefasst. An seinem 50. Geburtstag am 15.11.1912 erhält der Bühnenautor Gerhart Hauptmann per Telegramm die Nachricht, dass ihm der Nobelpreis für Literatur zuerkannt worden ist. Aus aller Welt kommt eine Flut von Glückwünschen, aber die deutsche Obrigkeit schweigt noch immer beleidigt dazu, denn Hauptmann wird für Werke geehrt, die soziale Missstände im kaiserlichen Deutschland bloßstellen. Bald aber zählt der "Revolutionär" zu den Etablierten, wird als Volksdichter gefeiert, doch im Kaiserreich wird ihm von "Allerhöchster Stelle" der Schiller-Preis verweigert.

Rinnsteinkunst. Gegen das konventionelle Kunstverständnis Kaiser Wilhelms II., der von 1898 bis 1901 an der Berliner Siegesallee 32 monumentale Skulpturengruppen aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte aufstellen ließ, opponierten viele Avantgarde-Künstler mit ihren Darstellungen aus der Alltagswelt. Von der Berliner Bevölkerung wurde die sogenannte "Siegesallee" als Puppenallee belächelt. Mit der "Rinnsteinrede" zur Eröffnung der Siegesallee am 18. Dezember 1901 hatte der Kaiser die kritischen Reaktionen verstärkt. Sein Verdikt, die künstlerische Moderne sei in den Rinnstein niedergestiegen, da sie das Elend noch scheußlicher hinstelle als es schon sei, wandte sich gegen sogenannte moderne Richtungen und Strömungen. Durch die nachträgliche Veröffentlichung bekam diese Rede eine offizielle Note und verordnete den Kunstgeschmack unter dem Beifall der Konformisten und Konservativen mit höchster Autorität von oben.

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