2.6.14

[ #literatur ] Krisis als Wolfsmensch

Kein anderes Werk wurde so missverstanden wie Steppenwolf, musste von seinem Autor Hermann Hesse immer wieder verteidigt und erklärt werden. Andererseits hat gerade dieses Buch in den 1960er Jahren eine Hesse-Rezeption in Amerika und Deutschland ausgelöst. 

Zu Beginn der zwanziger Jahre erleidet der bald fünfzigjährige Hesse eine tiefe Lebenskrise, die sich in den Texten "Tagebuch eines Entgleisten" (1922) und "Kurgast" (unter dem Titel "Psychologia Balnearia" 1923 entstanden) äußert. In vielen Briefen aus jener Zeit klagt Hesse über Depressionen und spielt wiederholt auf Selbstmordgedanken an. Im August 1925 erwähnt er in einem Brief erstmals Pläne zu einem phantastischen Buch vom Steppenwolf, der darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur anderen ein Wolf ist. Der Tiefpunkt der Krise ist im Winter 1925/26 erreicht. In diesem Zeitraum entsteht die überwiegende Mehrzahl der Krisis-Gedichte.

Hesse betont am 14. Oktober 1926 in einem Brief an Heinrich Wiegand, er "schreibe keine Dichtung, sondern eben Bekenntnis, so wie ein Ertrinkender oder Vergifteter sich nicht mit der Frisur beschäftigt oder mit der Modulation seiner Stimme, sondern eben hinausschreit." Er schickt das Manuskript der Krisis-Gedichte am 18. Juni 1926 an S. Fischer. Der Verleger widersetzt sich aber vorerst einer Veröffentlichung, und auch Hesses späteres Ansinnen, die Gedichte zusammen mit dem Roman erscheinen zu lassen, findet kein geneigtes Ohr. Im November 1926 erscheint eine Auswahl der Gedichte in der Neuen Rundschau unter dem Titel "Der Steppenwolf. Ein Stück Tagebuch in Versen". Die Reaktionen auf die Gedichte sind recht zwiespältig: Von einigen wenigen - unter ihnen Thomas Mann, Stefan Zweig und Oskar Loerke - als neuartiger Ausdrucksversuch des Dichters gelobt, rufen sie bei der Mehrzahl der Leser und Leserinnen, nicht zuletzt bei seinem Verleger selbst, Widerwillen und Ablehnung hervor.


Prosa - Steppenwolf. Hesse macht sich in der Folge daran, die Gedichte in eine Prosafassung umzuarbeiten. In nur sechs Wochen, vom 16. Dezember 1926 bis zum 11. Januar 1927, beendet Hesse das Tiposkript des "Prosa-Steppenwolfs", wie es Hesse in verschiedenen Briefen aus dieser Zeit bezeichnet. Hesse transformiert die lyrischen Texte in eine Prosafassung in nur sechs Wochen! Hugo Ball lässt er am 2. Januar 1927 wissen: "Zur Zeit sitze ich Tag für Tag, mit schmerzenden Augen und mit schmerzenden Gicht-Händen an der Schreibmaschine, um den Prosa-Steppenwolf ins Reine zu schreiben, der nach Fischers Absicht vielleicht schon zum Geburtstag als Buch erscheinen soll."

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