30.6.14

[ #literatur ] Ehe der Globus zerplatzt.

Erich Kästners literarisches Engagement richtet sich nach dem Krieg auf ihm schon zumeist vertraute Bereiche: neben seiner Tätigkeit für den PEN-Club vor allem Kabarett, Journalismus, Jugenderziehung und -literatur, Drehbuch, Herausgebertätigkeit.

In fast jedem Text zeigt sich die Kontinuität seines schriftstellerischen Selbstverständnisses, er bleibt Satiriker, Moralist, Aufklärer, Pädagoge.

Die von ihm so verachtete "Dummheit" nimmt er aufs Korn und vertritt die Idee des jede Gesellschaft allererst humanitär und harmonisch organisierenden Vernunftprinzips. "Der Krieg ist aus. Die Übermenschen sind gegangen. Und die Dichter dürfen wieder ihr altes Amt übernehmen, uns daran zu erinnern, dass wir, wenn schon nicht gut, so doch besser werden sollten. Und wenn nicht aus Liebe und Güte, so um Himmels willen endlich aus Gründen der Vernunft! Ehe der Globus mit einem lauten Knall zerplatzt!"


Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
dass Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

Allerdings verstärkt sich die immer schon vorhandene Resignation in bezug auf die Erziehbarkeit seiner Zeitgenossen; die Skepsis gegenüber dem "Dichteramt" als pädagogische Aufgabe wird deutlicher: "Ich bin der Dichter, der euch anfleht und beschwört. Ihr seid das Volk, das nie auf seine Dichter hört". Wie für viele andere Autoren bedeutete auch für Kästner diese Bücherverbrennung einen wesentlichen Einschnitt in Leben und Werk. Er lernt auch aus dieser Erfahrung, setzt sich im weiteren Verlauf seines Lebens vehement gegen jegliche Zensur ein und erinnert immer wieder an die Bücherverbrennung.

In einer Ansprache auf der Hamburger PEN-Tagung am 10. Mai 1958 sagte Kästner über die Widerstandsmöglichkeit vor und während einer Diktatur: "Im modernen undemokratischen Staat wird der Held zum Anachronismus. Der Held ohne Mikrophone und ohne Zeitungsecho wird zum tragischen Hanswurst (... ). Er wird zum Märtyrer." Die Ereignisse nach 1933 hätten spätestens 1928 "bekämpft" werden müssen, denn: "(...) drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben."

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