23.3.14

[ #literatur ] Hokuspokus, Exkommunikation und Gewaltfreiheit

Der "Heilige Synod" der russisch-orthodoxen Kirche exkommunizierte am 22. Februar 1901 Leo Tolstoi. 

In der Begründung zur Exkommunikation Tolstois, in der er als Feind der Kirche deklassiert wird, liest man: "Gott hat erlaubt, dass zu unseren Tagen ein neuer falscher Doktor, der Graf Leo Tolstoi, erschienen ist; Schriftsteller von Weltruf, Russe von Geburt, orthodox durch Taufe und Erziehung, hat Graf Tolstoi, von seinem Stolz angestachelt, sich frech und kühn gegen Gott, gegen die Kirche und gegen sein heiliges Erbe erhoben. Offen und vor allen hat er die orthodoxe Kirche, die Mutter, die ihn genährt und aufgezogen hat, verleugnet und seine literarische Tätigkeit ebenso wie das Talent, das Gott ihm gegeben hat, dazu benutzt, Christus und der Kirche entgegengesetzte Lehren unter dem Volk zu verbreiten und im Geist wie im Herzen der Menschen den Glauben der Väter zu zerstören ... Darum erkennt ihn die Kirche nicht mehr als eines ihrer Mitglieder an und wird ihn nicht als solches anerkennen können, solange er nicht bereut und seine Gemeinschaft mit ihr wiederhergestellt hat."


Tolstoi war trotz Exkommunikation überzeugter Christ geblieben, aber eben auf seine Weise. Er proklamierte sein Evangelium: "Nimm nicht am Krieg teil; schwöre nicht; verurteile nicht; widersetze dich dem Bösen nicht mit Gewalt."

Tolstojs "Antwort an den Synod" - die deutsche Übersetzung (Anhang zu Tolstojs Broschüre "Der Sinn des Lebens") wurde im Oktober 1901 auch in Leipzig von den deutschen Behörden beschlagnahmt - entgegnet dieser Exkommunikation u.a. mit folgenden Worten: "Wie immer man die Person Christi auffassen mag, seine Lehre jedenfalls, die das Böse der Welt zunichte macht und dem Menschen so einfach, so leicht und unzweifelhaft Glück gewährt, wenn er sie nur nicht entstellt - diese Lehre ist ganz und gar verschwunden, ist verfälscht zu plumpem Hokuspokus mit Waschungen, Ölungen, Körperbewegungen, Beschwörungen, dem Verschlucken von Brotstückchen und dergleichen, und von der Lehre selbst bleibt nichts übrig. Wenn aber einmal jemand versucht, die Menschen daran zu erinnern, dass die Lehre Christi nicht in solchen Zauberbräuchen, in Bitt- und Dankgottesdiensten, in Messen, Kerzen und Ikonen besteht, sondern darin, dass die Menschen einander lieben, Böses nicht mit Bösem vergelten, einander nicht verurteilen und töten, dann erheben alle, welchen dieser Schwindel Vorteil bringt, ein empörtes Geschrei und erklären in den Kirchen, in Büchern, Zeitungen und Katechismen lauthals und mit unfassbarer Dreistigkeit, Christus habe das Schwören nie verboten, habe den Mord (Hinrichtungen, Kriege) nie verboten und die Lehre vom Verzicht auf Widerstand gegen das Böse sei mit teuflischer List von den Feinden Christi ersonnen worden ... Von Christus, der die Ochsen, Schafe und Händler aus dem Tempel jagte, musste man behaupten, er lästert Gott. Käme er heute zu uns und sähe, was in seinem Namen in der Kirche geschieht, er würde gewiss mit noch größerem und noch gerechterem Zorn alle die schrecklichen Messtücher, Spieße, Kreuze, Kelche, Kerzen, Ikonen und alles andere hinauswerfen, womit sie ihren Hokuspokus treiben mit Gott und seine Lehre vor den Menschen verbergen."

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