16.8.15

[ #literatur ] Der Weg zur Emanzipation führt über Dorfgeschichten

In der Nacht des 23. Juni 1833 um 5 Uhr morgens wird Berthold Auerbach (Moses Baruch Auerbacher) in München vom Brigadier Staringer verhaftet und polizeilich verhört. Damit begann als "Vorbestrafter" das Ende der Karriere als Rabbiner, damit wurde aus der Not ein Schriftsteller und ein neues Genre geboren.

Auerbach wurde wegen seiner Dorfgeschichten von einfachen wie gebildeten Leuten gleichermaßen geliebt. Doch wusste er das Lob, das ihm entgegengebracht wurde, richtig einzuschätzen: "Ich weiß es, wenn ich hinaustrete unter die Bauern, die Seele voll, Wohlwollen auf den Lippen, das einzige Wort Jud! würde sie von mir verscheuchen." Berthold Auerbach erfuhr während der Wirtschaftskrise in der Gründerzeit zahlreiche Ehrungen. Doch schrieb er 1876: "Rätselhaft ist mir der neu erwachte Furor teutonicus gegen die Juden. Ich möchte die Grundzelle finden. Besteht sie vielleicht darin, dass das Selbstgefühl der Deutschen jetzt erwacht ist?" Am 22. November 1880 diskutierte das preußische Abgeordnetenhaus einen Antrag auf Rücknahme des Gleichstellungsgesetzes, das den Juden in Deutschland gleiche Rechte zusicherte. Auerbach saß auf der Besuchertribüne. Tags darauf schrieb er: "Vergebens gelebt und gearbeitet."


Dabei können Berthold Auerbachs historische Romane (1837 "Spinoza", 1840 "Dichter und Kaufmann") heute als Paradigmata des deutschjüdischen historischen Romans und seiner Funktion im Rahmen des jüdischen Prozesses der kulturellen Standortbestimmung in der säkularisierten bürgerlichen Gesellschaft gelten. Auerbachs theoretische und programmatische Äußerungen aus der Zeit zeigen, dass seine beiden historischen Romane einem doppelten Impuls entspringen: Da ist zum einen der Versuch, jüdische Autoren gegen die Polemik zu verteidigen, mit der die Feinde der Jungdeutschen Bewegung jedwede demokratischen Bestrebungen als "jüdisch", das Junge Deutschland als "eigentlich ein junges Palästina" zu diffamieren versuchten. Um dieser Kritik die Grundlage zu entziehen, grenzt sich Auerbach entschieden von Heine und Börne ab, die er der "Einsperrung des Judentums in den Verstandesghetto" bezichtigt.

Mit seinen historischen Werken trug Auerbach zur "Erfindung einer Tradition" bei, einer neuen, säkularisierten Tradition, welche der akkulturierte jüdische Bevölkerungsteil in Deutschland dazu brauchte, um seine jüdische Identität mit den Normen der bürgerlichen Gesellschaft vereinbar erscheinen zu lassen. Sein schriftstellerisches Wirken als Jude wandte sich gegen die vollkommene Assimilation bis zur Konversion auf der einen Seite und Verharren in der jüdischen Orthodoxie mit entsprechender Vermeidung jeder Kontaktaufnahme mit der Mehrheitsgesellschaft auf der anderen.

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