29.5.14

[ #literatur ] Literaten ohne Gott.

Ödön von Horváth ist mit seiner Arbeit unzufrieden. Seit 1935 dürfen seine Stücke in Deutschland nicht mehr gespielt werden. Er hat dadurch finanzielle Probleme. Dabei hatte er sich auch nach der Machtübernahme durch die Nazis bemüht, in Deutschland schreiben und bleiben zu dürfen und es kam mit seinem Münchner Schriftstellerkollegen Oskar Maria Graf deswegen zu einem herben Bruch.

PEN - Protestresolution. (Wiener Allgemeine Zeitung, 29. 6. 1933): "Indem der österreichische Penklub den im heutigen Deutschland unterdrückten, ihrer Freiheit beraubten Männern und Frauen des Geisteslebens, ohne Unterschied ihrer Partei und Rasse, seine Grüße und Sympathien zum Ausdruck bringt und jener gedenkt, die ihr Eintreten für die Geistesfreiheit mit Gefängnis oder Emigration zu bezahlen haben, vertritt er die Meinung, dass die individuelle Freiheit unerlässliche Vorbedingung für jegliches geistiges und künstlerisches Schaffen ist. Die Unterwerfung der Presse, des Rundfunks und des Verlagswesens macht es jedem Autor, der im geringsten von der herrschenden Partei abweicht, unmöglich, auch nur eine gegnerische Zeile zu veröffentlichen. Der österreichische Penklub erhebt entschieden im Namen der deutschen Freiheit und der übernationalen Grundsätze des Penklubs Einspruch gegen die geistige Unterdrückung des Individuums. Mit dieser Haltung erfüllt der österreichische Penklub die besondere österreichische Aufgabe, die ihm im Bereich der gesamtdeutschen Kultur zukommt."

Oskar Maria Graf versuchte schon beim Pen-Kongress, der in der letzten Maiwoche des Jahres 1933 in Ragusa (heute Dubrovnik) stattfand, zusammen mit österreichischen Kollegen mit einem Protest zu intervenieren. Auf dem Kongress von Ragusa sollte ein Zeichen gesetzt werden: Graf versuchte, Unterschriften für ein Protesttelegramm zu sammeln. Doch hatte er nur wenig Glück: Stefan Zweig scheint sich herausgeredet zu haben, von Ödön von Horvath ist sogar bekannt, dass er versuchte, eine Zusammenarbeit mit den Nazis zu finden. Graf glaubte, mit einer Unterschrift nicht zu viel verlangt zu haben: Jeder "anständige Kollege" müsste bei einem solchen Protest mitmachen. Doch die österreichische Delegation auf dem Kongress versuchte, nicht aufzufallen, wohl, weil man um den deutschen Buchmarkt fürchtete. Protest kam nur von dem Engländer H. G. Wells. Wieder einmal vertrat Graf in einer entscheidenden Situation das für richtig Erkannte mit allen Konsequenzen. Und wieder wurde er, durch die Situation gezwungen, fast zum Einzelkämpfer. War es ihm beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine moralische Pflicht gewesen, in der Stunde der Bewährung an seinen pazifistischen Grundsätzen festzuhalten, auch wenn in diesem Augenblick die meisten Gesinnungsgenossen ihre Meinung änderten, so sehen wir ihn 1933 in einer ähnlichen Situation. Er exponierte sich, während die anderen abwarteten, er leistete antifaschistische Arbeit, während sich andere nicht einmal zu einer Unterschrift unter ein Protesttelegramm durchringen konnten. Eine gewisse Unterstützung hatte er in diesem Augenblick nur von der sozialdemokratischen Partei und von ein paar kommunistischen Kollegen. Doch bezeichnend für Grafs Haltung war, dass er gerade im Augenblick der Gefahr zu seiner Überzeugung stand, während er in den relativ friedlichen Zeiten der Weimarer Republik nicht leicht zu eindeutigen Stellungnahmen zu bewegen war.

Die zunehmende Radikalisierung der politischen Lager in den 20er Jahren fand schließlich auch in der österreichischen Literatur ihren Niederschlag; eine Reihe erfolgreicher Autoren (Robert Hohlbaum, Bruno Brehm, Karl Hans Strobl, Franz Karl Ginzkey, Mirko Jelusich, Max Mell, M. Grengg, Josef Weinheber) wechselte zu Beginn der 30er Jahre mehr oder weniger offen ins Lager des Nationalsozialismus und trug so zur Spaltung der österreichischen Literatur bereits vor 1938 bei.

Beim Internationalen P.E.N.-Kongress im Mai 1933 in Ragusa (Dubrovnik) wollten sich die österreichischen Delegierten abwartend verhalten. Vordergründig ging es um die Frage, ob man sich der "Gleichschaltung" der deutschen Literatur mehr oder weniger anpassen solle, um seine Bücher weiter in Deutschland verkaufen zu können, oder ob man gegen die Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung deutscher Schriftstellerkollegen protestieren solle. Nach Wien zurückgekehrt, sahen sich Felix Salten und Grete von Urbanitzky der massiven Kritik einer Mehrheit der Mitglieder des PEN-Klubs konfrontiert. Als im Juni 1933 eine Resolution gegen die Kulturbarbarei in Deutschland beschlossen und von 25 Schriftstellern, darunter Franz Th. Csokor, Oskar M. Fontana, Paul Frischauer, Gina Kaus, Ernst Lothar, Robert Neumann oder Friedrich Torberg unterzeichnet wurde, traten die "national" (d. h.: großdeutsch oder nationalsozialistisch) gesinnten Schriftsteller/innen aus dem PEN-Klub aus; im November 1936, nach dem Juli-Abkommen zwischen Adolf Hitler und Kurt (von) Schuschnigg, gründeten die Ausgetretenen den "Bund deutscher Schriftsteller Österreichs". Sie bekundeten damit noch in der Zeit des "Ständestaates" (die NSDAP war in Österreich seit 1933 verboten!) ihre Sympathie für das nationalsozialistische Deutschland. Es ist bezeichnend, dass diesem "Bund deutscher Schriftsteller" vom "Ständestaat" ausgesprochen "umworbene und geförderte Autoren", wie Max Mell und Josef Wenter, angehörten.



NSDAP-Tarnorganisation. Im "Bund deutscher Schriftsteller Österreichs" fanden sich die Mitglieder und Sympathisanten der NSDAP zu einer illegalen Tarnorganisation zusammen, die energisch auf den Anschluss hinarbeitete. Inzwischen vollzog man in Österreichs Literatur von den Themen her einen völligen Rückzug in die Provinz (Karl Heinrich Waggerl, Josef Perkonig, O. Leitgeb) bzw. den historisch-heroischen Roman (Mirko Jelusich, Robert Hohlbaum). Wer die Tradition des demokratisch-kritischen Schreibens weiter pflegen wollte oder jüdischer Herkunft war, musste das Land verlassen, so unter anderem Elias Canetti, Joseph Roth, Robert Musil, Robert Neumann, Berthold Viertel, Stefan Zweig, Franz Werfel, Hermann Broch, Franz Theodor Csokor und auch Ödon von Horváth. Für manche war es zu spät, wie etwa für den jungen Dramatiker Jura Soyfer oder für Alma Johanna Koenig, die im KZ umkamen. Andere ordneten sich stillschweigend ein und gingen in die innere Emigration (Alexander Lernet-Holenia, Rudolf Henz).

Die Spaltung der österreichischen Literaten, die 1938 zu einem Faktum wurde, war also länger vorgezeichnet. Der Unterschied zur Situation nach dem 13. März 1938 war der, dass die Polarisierung 1936 noch als eine Angelegenheit unter Literaten erscheinen konnte, während sich 1938 jede weitere literarische Diskussion erübrigte.

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