12.8.23

[ #literatur ] Schulreform: Am Beispiel "Nils Holgersson" - Schriftsteller als Schulbuchautoren!


Für ihr Erstlingswerk Gösta Berling (1891, eine Läuterungsgeschichte eines Pfarrers, der wegen Trunkenheit seines Amtes enthoben wird) bekam Selma Ottilia Lovisa Lagerlöf 1909 als erste Frau den Nobelpreis für Literatur der Schwedischen Akademie, deren erstes weibliches Mitglied sie 1914 wurde und ist damit neben Astrid Lindgren Schwedens berühmteste Autorin. 

Dieser Roman und das Kinderbuch Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen (1906/1907) begründeten ihren Ruhm weit über Schweden hinaus, wurden doch ihre Werke in mehr als 40 Sprachen übersetzt.

Was wenige wissen: Selma Lagerlöf schrieb diesen Entwicklungsroman als Auftragsarbeit für den schwedischen Volksschullehrerverband. Faul, frech und träge ist Nils Holgersson, kein "liebes Kind". Hartherzig und böse macht er seinen Eltern wenig Freude. Eine untypische Hauptfigur für ein Schulbuch. Selma Lagerlöf schrieb das Buch als Lesebuch für die Schule, um den Schulkindern die Landeskunde Schwedens nahezubringen.


Nils Holgersson Opening in Deutsch - You Tube

Die Schriftstellerin engagierte sich nach dem Ersten Weltkrieg als überzeugte Pazifistin. Das weiß heute kaum jemand mehr. In dem Roman »Das heilige Leben« (1918) hat sie folgende Sätze geschrieben: »Denn was wissen wir? In ein paar Jahren kann die Erinnerung an den Kummer, an die Schmerzen und die Verwüstung dieses Krieges schon vergessen sein, und wenn dann neue Menschen kommen, können sie wieder frohen und mutigen Herzens in den Kampf hinausziehen. Auf uns kommt es jetzt an, ob wir den Menschen einen Ekel vor dem Krieg einflößen und ob wir ihnen diesen so fest einprägen, daß ihn keine Reden von Ehre und Heldentaten mehr aus ihren Herzen verdrängen können.«

Sie engagierte sich auch in der Frauenbewegung: 1911 trat sie als Rednerin bei einem internationalen Frauenkongress in Stockholm auf und präsentierte sich als Nobelpreisträgerin und Gutsbesitzerin, der nichtsdestotrotz das Wahlrecht verweigert war. Von 1933 an beteiligte sich die Autorin an Hilfsaktivitäten für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland. 1939 wandten sich Freunde mit der Bitte an sie, der jüdischen Lyrikerin Nelly Sachs (1891-1970) und deren Mutter in letzter Minute zur Flucht aus Deutschland zu verhelfen. Die über 80-jährige Lagerlöf war schon zu krank, aber Nelly Sachs' Flucht mit der Mutter gelang dennoch. Die Deutsche blieb in Schweden und bekam 1966 ebenfalls den Nobelpreis.

Kurzbio. Selma Lagerlöf wurde am 20. November 1858 auf dem kleinen Gutshof Mårbacka in der Provinz Värmland in Westschweden geboren. „Der lang gestreckte See, die reiche Ebene und die blauen Berge“ ihrer Heimat sollten den Schauplatz ihres ersten Romans, Gösta Berling (1891, dt. 1896), bilden.

Mit dem Roman Jerusalem (1901-02, dt. 1902) über Bauern, die nach einer religiösen Erweckung ihre Höfe verkaufen, um nach Jerusalem zu ziehen, wurde sie weltberühmt. Für die schwedische Volksschule schrieb sie das in zwei Bänden erschienene Lesebuch Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen (1906-1907, dt. 1907-1908). Es wurde in sechzig Sprachen übersetzt und liegt in mehreren deutschen Übersetzungen und Kürzungen vor. Die Illustrationen für die deutsche Ausgabe von Wilhelm Schulz erschienen zum ersten Mal 1909.

Als erste Frau erhielt Selma Lagerlöf 1909 den Nobelpreis für Literatur; 1914 wurde sie auch als erste Frau Mitglied der Schwedischen Akademie.  Ihre beträchtlichen Einnahmen aus dem In- und Ausland wurden größtenteils verwendet für den Umbau ihres Elternhauses Mårbacka in das herrschaftliche Haus, das wir heute kennen, und für die Unterstützung Bedürftiger. Ihre großzügige Wohltätigkeit auch auf internationaler Ebene,  vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, soll in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden.

Selma Lagerlöf starb am 16. März 1940 im Alter von 81 Jahren auf Mårbacka.


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