20.8.15

[ #geschichte ] Volkslied oder Hymne.

Die Welt des Politischen hat immer auch eine äußere, symbolische Seite. 

Das zeigte sich während der Französischen Revolution in groß angelegten Inszenierungen hochoffizieller Zeremonien bis in die alltäglicheren symbolischen Ausdrucksformen wie Kleidung, Zeitrechnung, Sprache ebenso wie in den Bilderwelten der Graphik und Malerei. Hatten einzelne Symbole, die in der revolutionären Praxis "erfunden" wurden, an Popularität und Bekanntheitsgrad gewonnen, wurden sie von offizieller Seite aufgenommen und teilweise zur gesetzlichen Pflicht gemacht, wie etwa das Tragen der Kokarde.


Während die meisten Revolutionslieder die Zeit der Revolution im kollektiven Gedächtnis nicht überdauerten, schaffte es die Marseillaise zu einem der tragenden Symbole der französischen Nation zu werden. Es ist selten, dass politische Kunst sich so schnell durchsetzt und dazu auch alle Stürme überdauert. Als die Frage der Kriegserklärung an die Habsburgermonarchie im Frühjahr 1792 immer drängender wurde, sprachen sich die girondistischen Zeitungen "Chronique de Paris" und "Courrier" für die Förderung von Kriegsliedern, die den Enthusiasmus der Truppen stärken sollten, aus.


Der "Courrier" veranstaltete einen Wettbewerb für das beste Lied, dem sich sogar die den Radikalen nahe stehende Zeitung "Révolutions de Paris" anschloss. Vor allem die Girondisten drängten auf einen raschen Kriegsbeginn. Aber bei Kriegsbeginn (20. April 1792) war noch immer keine geeignete Kampfeshymne gefunden worden. Ihr Schöpfer, der Offizier Claude-Jospeh Rouget de Lisle, soll das Lied in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1792 während seiner Einquartierung im Hause des Straßburger Bürgermeisters Dietrich auf dessen Anregung hin komponiert und getextet haben. Rouget de Lisle als gemäßigter Anhänger der Monarchie hatte das Lied für die Soldaten des Königs geschrieben.


Das Lied hatte ursprünglich den Titel "Kriegslied der Rheinarmee" (Chant de guerre pour l'armée du Rhin) und wurde rasch im ganzen Land bekannt. Innerhalb weniger Wochen wurde die "Hymne des Marsaillais" im Elsaß in handschriftlicher oder gedruckter Form verbreitet und danach von zahlreichen Pariser Verlegern aufgegriffen. Da die ersten Auflagen anonym erschienen, wurde zunächst bezweifelt, dass Rouget de Lisle, ansonsten angeblich nur ein mittelmäßiger Dichter, dieses Lied verfasst hatte. Es hat dem politisch gemäßigten Künstler während der Revolutionswirren, der Zeit der Terreur wohl auch wegen der Bekanntheit und Beliebtheit seiner Komposition Leben und Freiheit gerettet.

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