29.6.14

[ #bildende-kunst ] Kriegsdienst im Haus zum Fliegerpfeil

Paul Klee: Einst dem Grau der Nacht enttaucht, 1918,
Aquarell, Feder und Bleistift auf Papier, mit Silberpapier kombiniert, Kunstmuseum Bern

Weil der Erste Weltkrieg ausbricht, müssen die russischen Freunde von Paul Klee Deutschland verlassen. 

Seine Freunde August Macke und Franz Marc sterben im Krieg. Wie viele ander Künstler auch glaubte er ursprünglich an einen schnellen Sieg der Deutschen, musste sich aber bald eines Besseren belehren lassen. Klee wurde 1916 eingezogen und zuerst einem Reserveregiment zugeteilt, danach der Flugschule Gersthofen. Er war privilegiert und konnte während des ganzen Kriegs zeichnen und musste dank der Intervention seines Vaters nicht an die Front. Auch sein "Kriegseinsatz" war "malerischer" Art. So musste Klee zum Beispiel die Tarnbemalung der Flugzeuge ausbessern. "An Aeroplanen die alten Nummern ausgemalt und neue vorn hinschabloniert", kritzelt der Künstler in sein Tagebuch.


Klees Zeit bei der "Fliegerersatzabteilung" prägte auch ganz handgreiflich Themen seiner Bilder. Malte er zunächst persische Nachtigallen und anderes märchenhafte Federvieh, so zeichnete er bald schon seine surreal verfremdeten "Vogel-Flugzeuge" - Zwitter zwischen Tier und Maschine, nicht himmelwärts schwebend, sondern zur Erde fallend; die Arbeiten heißen "Abstürzender Vogel" oder "Fliegersturz", und auch sie sind von der militärischen Wirklichkeit inspiriert. In Schleißheim gab es viele Abstürze und zahllose missglückte Landungen unerfahrener Flugschüler, die nagelneue Technik erprobte man durch das riskante Prinzip von trial and error. Klee berichtet seiner Frau Lily mehrfach darüber und flüchtet sich in Sarkasmus, als er im November 1916 notiert: "Habe heute den kaputten Aeroplan aufräumen helfen, auf dem zwei Flieger vorgestern ihr Leben lassen mussten. Er war übel zugerichtet. Die Arbeit war ganz stimmungsvoll."


Fliegerpfeil. Die Zweigstelle für Luftfahrt des Deutschen Museums in München präsentierte 1997 eine ungewöhnliche Schau mit einem ungemein gewöhnlichen Titel: Paul Klee in Schleißheim und ging "militärischen" Fundstücken in seine Werk nach. Wenn auch sehr spekulativ, so sei hier eines angeführt: Militärische Kampftechnik wird deutlich, als er 1922 sein zunächst kryptisch wirkendes Ölbild "Das Haus zum Fliegerpfeil" malte. Fliegerpfeile sind bleistiftgroße Metallgeschosse. Die dartsähnlichen Stifte wurden zu Beginn des Weltkriegs von den Flugzeugen abgeworfen, bis man sie durch Fliegerbomben ersetzte. 1915/1916 beschreibt Robert Musil ihren freien Fall: "Man hört es schon lange. Ein windhaft pfeifendes Geräusch. Immer stärker werdend. Plötzlich fuhr es unmittelbar neben mir in die Erde. Als würde das Geräusch verschluckt. "Ein Fliegerpfeil", sagt einer, "wenn der trifft, geht er vom Kopf bis zu den Sohlen." Robert Musil wurde am 22. September 1915 nahe Trient knapp von einem Fliegerpfeil verfehlt, den ein italienisches Flugzeug abgeworfen hatte. Er beschrieb diese existentielle Erfahrung in der Hauptszene seiner berühmten Erzählung Die Amsel.

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