"Heute ... wurden wir alle nach dem Semjonower Platz gebracht. Dort verlas man uns das Todesurteil, ließ uns das Kreuz küssen, zerbrach über unseren Köpfen den Degen und machte uns die Todestoilette (weiße Hemden). Dann stellte man drei von uns vor dem Pfahl auf, um das Todesurteil zu vollstrecken. Ich war der sechste in der Reihe; wir wurden in Gruppen von je drei Mann aufgerufen, und so war ich in der zweiten Gruppe und hatte nicht mehr als eine Minute noch zu leben ... Ich hatte noch Zeit, Pleschtschejew und Durow, die neben mir standen zu umarmen und von ihnen Abschied zu nehmen. Schließlich wurde Retraite getrommelt, die an den Pfahl Gebundenen wurden zurückgeführt, und man las uns vor, dass seine Kaiserliche Majestät uns das Leben schenkte."
1869, zwanzig Jahre nach seinem Todesurteil, vollendete Fjodor Michailowitsch Dostojewski seinen Roman "Der Idiot". Darin heißt es: "Vielleicht gibt es sogar jemanden, dem sein Todesurteil schon mal verlesen worden ist und dem man dann gesagt hat: Mach, dass du wegkommst, du bist begnadigt. Der könnte wohl einiges erzählen." Er verarbeitet darin die Scheinhinrichtung literarisch, in dem er Fürst Myschkin von einem Mann berichten lässt, der ebenfalls Opfer einer fiktiven Exekution wird. "Er erinnerte sich an alles mit außerordentlicher Klarheit und sagte, er werde von diesen Minuten nie etwas vergessen." Das gilt auch für den zu dieser Zeit 28-jährigen Dichter. Die traumatische Erfahrung der Todesgewissheit prägt, hinterlässt tiefe Spuren und gibt dem Leben eine andere Wendung. Dostojewskij beurteilte später Victor Hugos "Der letzte Tag eines Verurteilten" als einen der besten Romane der Literaturgeschichte, denn Hugo habe, inspiriert allein durch den Anblick des Schafotts in seiner Jugend, diese Situation trefflicher und menschlicher zu schildern vermocht, als er selbst jemals in der Lage gewesen wäre, dies zu tun.
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- 14.12.14 [Letzte Aktualisierung, online seit 23.12.13]
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